In Systemen denken - "Thinking in Systems"

von Marc Opitz

Was erwartet den Leser?

Das Buch „Thinking in Systems“ behandelt dynamische Systeme im Allgemeinen und nicht speziell technische Systeme, wie IT-Experten vermuten könnten. Die Autorin Donella H. Meadows ist Wissenschaftlerin, Dozentin, Autorin und Farmerin. Ihr Kernthema ist Nachhaltigkeit, und sie ist Mitautorin der bekannten Arbeit „Limits to Growth“ aus den siebziger Jahren. In diesem Grundlagenbuch „Thinking in Systems“ beschreibt Meadows den Problemlösungsansatz des Systemdenkens.

Was hat mein Interesse geweckt?

Seit dem Studium hat mich das systemorientierte Denken mit seinen Methoden und Techniken nicht nur begleitet, sondern auch fasziniert. Insbesondere bei komplexen, sozialen Fragestellungen und Problemsituationen bietet diese Richtung mit der allgemeinen Systemtheorie und der Kybernetik ein wissenschaftliches Fundament.

Meadows vertritt eine Methodik, die unter dem Begriff „System Dynamics“ bekannt ist. Sie entwickelt dieses Thema in „Thinking in Systems“ in mehreren Schritten:

  • Introduction: The System Lens
  • One: The Basics
  • Two: A Brief Visit to the Systems Zoo
  • Three: Why Systems Work So Well
  • Four: Why Systems Surprise Us
  • Five: System Traps… and Opportunities
  • Six: Leverage Points – Places to Intervene in a System
  • Seven: Living in a World of Systems

Besonderes Interesse finde ich an dem Thema der Hebel zum Eingreifen in Systeme. Meadows nennt zwölf Interventionspunkte, die in ihrer Wirkung und Reichweite gelistet sind. Doch bevor wir hier einsteigen und den Bezug zu Kennzahlensystemen herstellen, möchte ich ein paar Grundlagen ansprechen.
Das Grundmodell der Systemanalyse beinhaltet Stocks und Flows, also Bestände und Flüsse. Ein Bestand vergrößert sich durch Zuflüsse und reduziert sich durch Abflüsse. Nimmt die Höhe des Bestands wiederum Einfluss auf die Stärke der Zu- und Abflüsse, so spricht man von Feedback bzw. Rückkopplung. Während stabilisierende Rückkopplungsschleifen dazu führen, dass der Bestand sich auf einem Niveau einpendelt, sorgen selbstverstärkende Rückkopplungsschleifen für unkontrollierte übermäßige Entwicklungen. Auf Basis dieser Grundelemente können komplexe Systemmodelle entwickelt und getestet werden. Sowohl die Modellentwicklung als auch die Analyse des Systemverhaltens durch Simulation führt zu Erkenntnissen, die neu sein können und häufig unerwartet sind. Die Entscheidungsbildung in komplexen Situationen wird dadurch gefördert.
Mit diesem Vorverständnis lassen sich nun die Interventionspunkte näher betrachten. Meadows nennt in „Thinking in Systems“ zwölf Hebel der Veränderung, die aufsteigende Wirkung haben, aber absteigend nummeriert sind:

12. Konstanten / Parameter
11. Puffermengen im Bestand
10. Struktur von Beständen und Flüssen
9. Zeitliche Verzögerungen
8. Balancierende Feedback-Schleifen
7. Selbstverstärkende Feedback-Schleifen
6. Informationsflüsse
5. Regelungen wie Anreize, Bestrafungen und Begrenzungen
4. Selbstorganisation
3. Ziele
2. Überzeugungen und Denkweisen
1. Transzendierung von Paradigmen

Meadows sagt selbst, dass diese Reihenfolge der Interventionspunkte nicht fest in Stein gemeißelt ist und dass es Ausnahmen gibt. Weiterhin schätzt die Autorin ein, dass die richtig wirksamen Eingriffsmöglichkeiten nicht immer leicht zu finden und zugänglich sind. Letztlich geht es nicht darum, die Hebel zu forcieren, sondern loszulassen und mit dem System zu tanzen.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Das Systemdenken in Unternehmen setzt das Nutzen von Systemmodellen voraus. Dazu muss die Problemstellung richtig identifiziert und formuliert werden. In der Regel handelt es sich um komplexe Fragestellungen. Beispielsweise könnte eine Frage lauten: „Wie wirkt sich die Änderung der Preispolitik mittelfristig auf den Unternehmenserfolg aus.“ Einfache monetäre Betrachtungen können hierbei zu kurz greifen. Eher wäre es sinnvoll, ebenso bspw. die Auswirkungen auf Kunden, Lieferanten, die Marktteilnehmer, das Image in der Öffentlichkeit und die Produktion zu berücksichtigen. Hieraus entstehen wieder mögliche Entwicklungen und Rückkopplungen, die sich in den Kosten und Erlösen widerspiegeln.
Ausgehend von einem Systemmodell, das sowohl quantitativ als auch qualitativ sein kann, ließe sich nun ein Kennzahlensystem ableiten. Die Kennzahlen sollten über die Zeit verlaufen, idealerweise mit einem Vorlauf aus der Vergangenheit, die für Erfahrungswerte sorgen. Messbare Interventionspunkte sind bspw. Parameter, Bestände, Zu- und Abflüsse und Ziele. Diese können aber auch zugleich Indikatoren sein, das Eingriffe bei anderen Hebeln im gewünschten Sinne funktioniert haben.

Eine Scorecard als Mittel der Visualisierung wäre für die vielseitigen Kennzahlen und Kennzahlenbereiche naheliegend. Allerdings bietet sie häufig mit einfachen Kennzahlenwerten nur einen momentanen Schnappschuss. Um das Systemverhalten richtig zu überwachen, sind vielmehr Kennzahlen über die Zeit erforderlich, zum Beispiel mit Messintervallen von Wochen oder Monaten. Dies stellt gewisse Anforderungen an das Reporting, da Unternehmensdaten nicht immer gleich für historische Auswertungen ausreichen. Mit einem gewissen Maß an Regelmäßigkeit und Konsequenz lässt sich jedoch ein historischer Verlauf von Kennzahlen aufbauen. Wenn dazu noch die Kennzahlen Ziele bzw. Zielkorridore enthalten und darüber hinaus normalisiert werden, zum Beispiel auf einer Skala zwischen 0 und 1, enthielte dieses Kennzahlensystem eine hohe Aussagekraft. Veränderungen des Systems erfolgen dann nicht im Blindflug, sondern auf Basis von Systemmodellen und systematisch abgeleiteten Kennzahlen.

Abschließend sei angemerkt, dass jedoch Zahlen allein nicht als Führungsinstrument genügen. „Pay attention to what is important, not just what is quantifiable“, schreibt Meadows. Sie nimmt nicht umsonst als Interventionspunkte Informationsflüsse, Regelungen, Selbstorganisation, Überzeugungen und Denkweisen sowie die Transzendierung von Paradigmen auf. Es sind die Menschen mit ihren Erfahrungen und Absichten, die Veränderungen in Organisationen durchführen und überwachen.

Fazit

„Thinking in Systems“ ist sicherlich nicht das erste Buch für Prozessmanager und Report-Entwickler. Für methodisch interessierte Führungskräfte ist es dennoch eine interessante Einstiegslektüre in das Systemdenken. Insbesondere das Kapitel mit den Interventionspunkten bietet Schnittpunkte zum Reporting. Aber bleibt nicht bei den Zahlen kleben, wenn ihr komplexe Systeme beleuchtet. „Celebrate complexity“, empfiehlt die Autorin. Die Welt ist turbulent und dynamisch. Unterstützt die Vielfalt und Selbstorganisation.

Weiterführende Quelle

The Donella Meadows Project: Donella Meadows, Leverage Points – Places to Intervene in a System, Internet: https://donellameadows.org/archives/leverage-points-places-to-intervene-in-a-system/, aufgerufen am 27.7.2022.

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